dieses "auf der Physik rumgereite" ist wirklich langsam ausgelutscht. Das ist schon lange kein Verkaufsargument oder Alleinstellungsmerkmal mehr für LOTUS. Ja, die Physik aus dem Hause M&R War bisher besser als in anderen Entwicklungen im bereich Simulation. Das wars aber auch! LOTUS bietet keine direkte Kontrolle über das Fahrzeugverhalten, alles folgt einer vordefinierten "Physik". Klasse! nen Objekt entlang eines Pfades zu animieren hab ich ohne tiefere Programmierkenntnisse in der UE4 innerhalb weniger Tage umgesetzt. Inklusive diesem übertriebenen Sinuslauf. Das ist alles simple Mathematik, ab und zu auch mal was komplexeres wie Vektorrechnung (z. Bsp. zur Bestimmung der Winkel der Fahrzeugteile zueinander) Das ist alles nun wirklich keine Kunst. Die Physik vom Bus wurde eventuell nicht selbst entwickelt sondern eingekauft. war auch in OMSI nicht anders, dort wurde die open dynamics engine genutzt. Und wer weiß, eventuell hat man sich dort auch Arbeit gespart und eine fertige Fahrzeugphysik "nur" auf die eigenen Anwendungsbereiche angepasst. Wieviel der so hoch-gepriesenen Fahrzeugphysik ist also das Werk von Marcel?
Eine Kunst ist es allerdings, die Physik den Content-Devs im Editor komplett offen zu legen. Der LOTUS Ansatz mag für 0815 Fahrzeuge funktionieren, bei komplexeren Konstellationen sieht das anders aus. Ich nenne hier immer gern den KT4D von Kartoffelphantom, welcher aktuell nicht korrekt umsetzbar ist. Tatra hat bei OMSI beispielsweise die fehlende Kontrolle über die Differentiale gestört. Sobald in LOTUS mehrere Wagenteile physikalisch voneinander abhängig sind, funktioniert das System nicht mehr bedingungslos und da draußen wirds noch genügend Fahrzeuge geben, die eben nicht "kompromisslos realistisch" abgebildet werden können. Und selbst wenn man aus Programmiersicht versucht, alle Eventualitäten abzudecken, kommt jemand um die ecke der aufzeigt, dass es eben nicht geht.
Solang man also mit "Vorgaben" arbeitet, ist man eingeschränkt. War bei OMSI auch nicht anders - der Einstieg an allen Türen kam auch nur mit dem Wien Add-on iirc und ist nicht Bugfrei. Die Erkennung, ob jemand sitzt brauchte Darius in Hamburg. Gelenkphysik kam mit OMSI 2. Doppelgelenkphysik wieder für Darius. Nie wurde das Spiel effektiv für die Community erweitert, das passierte nur weil es für Payware gebraucht wurde. Und "workarounds" oder Abstriche bei der Funktionalität, die ja beispielsweise in OMSI immer so negativ betrachtet wurden wenns um Straßenbahnen oder Züge ging, sollten in LOTUS nun wahrlich keine Verwendung finden. Inwiefern ist man also in OMSI oder LOTUS freier als in anderen Spielen? Die Grundlage war nur schon solide und es ist recht einfach, darauf aufzubauen. Aber selbst das ist beim Containersystem in LOTUS nicht mehr möglich. Selbst in Payware - und da schließe ich mich keinesfalls aus - stecken verdammt viele Scriptschnipsel die wiederverwendet wurden. Das macht das Modding halt einfach und den Einstieg leichter.
Konsequent wäre es, ALLES frei definierbar zu machen. Wie Bei Lego. Du brauchst nur die Achse auf der Schiene, alles andere baust halt selbst. Ob das jetzt nen Zug mit Jakobsdrehgestellen ist, normale Drehgestelle oder irgendwas spezielles. Völlig egal, alles ist Möglich. Dazu benötigt es aber frei definierbare physikalische Verbindungen mit 6 Freiheitsgraden, bei denen jeder Freiheitsgrad manipuliert werden kann. Fertig. Dann baut man nen KT4D halt "physikalisch" und nicht mathematisch nach.
Nachteil: Kostet halt Rechenleistung, ist selbst schwer zu implementieren und eine gute, fertige Physikengine kostet Geld.
Ein Spielkern ist das, was die Inhaltentwickler draus machen. Nur weil die Fernbusvehicles nen beschissenes Getriebe haben, liegt das nicht am Spiel. Nur weil beim BS18 selbst die Gelenkfahrzeuge Mittelmotoren haben, die Gelenke beschissen aussehen und mitgelenkte Achsen starr sind, liegt das nicht am Spiel. Das liegt an den Leuten, die ebendies im Spiel implementieren und das steht und fällt mit den Fähigkeiten der Content-Entwickler und die Möglichkeiten, die die Engine bereitstellt. Man kann also nur hoffen, dass die Aerosoft Interpretation der Schienensimulation genügend Möglichkeiten für Entwickler bietet, wirklich mal frei zu sein. Dazu braucht es eine nahezu uneingeschränkte Moddingfähigkeit und Soliden Grundcontent, auf dem man aufbauen kann. Ansonsten muss man immer irgendwo Abstriche machen.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass der BS18 zum aktuellen Zeitpunkt mehr Moddingmöglichkeiten bietet als LOTUS. Wie das mal aussieht wenn LOTUS fertig ist, weiß ich nicht. Das Potential wird nur nicht genutzt, weil der Grundcontent schon zu Wünschen übrig lässt, zumindest aus der Sicht der non-casual Spieler.
Für BS18 habe ich ja beispielsweise mal mit einem Gelenk-Urbino herumexperimentiert. Es wäre problemlos möglich, viele Probleme, die das Spiel mitbringt, selbst zu verändern und entsprechend zu verbessern. Ich habe aber nicht die Zeit, "Grundlagenforschung" zu betreiben, da könnt ich mir auch selbst nen Spiel programmieren.
Der große Unterschied zwischen M&J und anderen Entwickler"studios" ist nur, dass Marcel aus der Szene kommt. Er weiß, wie es sich richtig anfühlt - das können andere Entwicklerstudios oftmals nicht. Ein gutes Skateboarding-Spiel kann nur von oder mit Leuten entwickelt werden, die aus der Szene kommen. Ein gutes Drift-Spiel kann nur von oder mit Leuten entwickelt werden, die aus der Szene kommen. Ein guter ÖPNV-Simulator kann nur von oder mit Leuten entwickelt werden, die - und jetzt Achtung - aus der Szene kommen. Warum sich Entwicklerstudios da so schwer tun ist mir bis heute ein Rätsel und das ist nicht nur ein Problem im Bereich Simulation.
tl;dr:
Solange Entwicklerstudios nicht Anfangen, aktiv mit Leuten aus der Szene zu arbeiten, kann und wird ein Projekt oft am Content scheitern, selbst wenn das Spiel dahinter gut programmiert ist. Damit steht und fällt auch die Aktivität potentieller Modder, denn wenn der Einstieg schwer ist macht sich keiner die Arbeit.
Gut ist, dass auch LOTUS mMn. nichtmehr mit Physik oder leichtem Modding Punkten kann. Dieses Alleinstellungsmerkmal gibt es mMn. nichtmehr. Es bleibt also spannend, wie sich andere Projekte schlagen werden.